Norbert Müller
Viele chronisch Kranke machen sich Sorgen um ihre Gesundheit – und ärgern sich über notorische Ignoranten, die sich nicht an Corona-Regeln halten. Ich kann das als Risikopatient mit Vorerkrankung (meine Frau und mein Sohn zählen ebenfalls zu den Gefährdeten) gut verstehen. Seit drei Wochen haben wir uns daheim in der freiwilligen Quarantäne so gut es geht eingerichtet.
Unseren Hochsicherheitstrakt verlassen wir nur einmal am Tag für einen kurzen Spaziergang. Sämtliche Einkäufe erledigt unsere Tochter für uns. Soziale Kontakte halten wir über alle denkbaren digitalen Kanäle aufrecht. Das klappt gut, ersetzt aber, logisch, die persönliche Begegnung nicht. Zum Glück kann ich im Home-Office arbeiten. Das lenkt ab und gibt dem Tag Struktur.
Trotzdem verhehle ich nicht, dass auch bei mir als grundsätzlich positiv gestimmten Menschen gelegentlich mal das Gedankenkarussell Fahrt aufnimmt. Dann nisten sich Fragen in meinem Kopf ein wie diese: Was passiert, wenn es einen von uns erwischt? Werden wir im Notfall ausreichend im Krankenhaus versorgt werden können? Werden möglicherweise Ärzte darüber entscheiden müssen, ob unser Zustand noch eine Behandlung auf der Intensivstation wert ist? Wie wird es sich anfühlen, in der vielleicht prekärsten Situation im Leben mutterseelenallein… Stopp!
Solche Gedankenschleifen sind zwar normal, ziehen einen jedoch nur runter. Deshalb schalte ich, sobald ich ihnen gewahr werde, sofort wieder in den Zuversichtsmodus. Das hilft. Denn wie schreibt Ulrich Schnabel, der ein kluges Buch über die Zuversicht geschrieben hat, (Zuversicht: Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je), so treffend: „Diese Eigenschaft ist eine Haltung, die uns in Krisen aufrecht hält, die uns erlaubt, einerseits den Ernst der Lage klar zu sehen und trotzdem den Lebensmut nicht zu verlieren.“ (Michael Reinhard Chefredakteur der Main-Post[1])
Diese Gedanken eines mir sehr vertrauten Menschen berühren mich sehr. Und wahrscheinlich sind augenblicklich viele Menschen mit diesen oder ähnlichen Gedanken befasst und versuchen, den privaten wie beruflichen Alltag so gut wie es geht zu meistern. Und: Inzwischen sind wir, im Alltag der Krise angekommen. In einer der größten Herausforderungen für die gesamte Menschheit. Zugleich sind wir nicht wirklich eingeübt in der Bewältigung solcher Krisen, zu sehr haben wir uns auf die Routinen und Selbstverständlichkeiten eines scheinbar linear steigenden Wachstums verlassen. Und es scheint uns (noch) nicht gut zu gelingen, uns auf die Anforderungen dieser Zeit einzustellen und auf vieles (zumindest temporär) zu verzichten.
Will man verstehen, was diese Krise und deren Folgen für jeden persönlich und wirtschaftlich bedeutet und wie man die Folgen in den Griff bekommen kann, wird man um die Begriffe wie Verzicht, Zuversicht und Humor kaum herumkommen. Manche sagen, nichts wird bleiben wie es war.
Das was vielen Menschen im Moment sehr im Vordergrund zu stehen scheint, ist der momentane Verzicht. Verzicht steht für Abstinenz, also die Enthaltung von gewissen Aktivitäten über einen nicht definierten Zeitraum. Beispielsweise
- von liebgewonnenen Gewohnheiten
- von vielen Selbstverständlichkeiten (u.a. vom ungezügelten und unbeschränkten Konsum)
- auf Gehalt (manche kommen darüber in existenzielle Sorgen und Krisen)
- auf berufliche Meetings und sozialen Kontakt
- auf die kleinen beruflichen Nebengespräche über persönlich wichtige Anliegen
- auf Freiheitsrechte, die in unserer Demokratie so existenziell wichtig sind
- … auf vieles andere mehr.
Verzicht – will er nicht ideologischen oder religiösen Zwecken dienen – muss aus Einsicht geschehen. Aber in der augenblicklichen Situation gelingt der Verzicht auf vieles, was uns wichtig ist, nicht ohne Schwierigkeiten. Er greift uns an und macht uns Angst. Auch ist dieser Verzicht mit Gefahr verbunden.
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, so heißt es bei Friedrich Hölderlin. Und fast scheint es, als wüchsen die Menschen in Zeiten der Corona-Krise wirklich über sich hinaus: allerorts entstehen Initiativen, in denen sich hilfsbereite Menschen zusammentun, sei es, um bedürftige Nachbarn zu unterstützen, um die Versorgung von Obdachlosen sicher zu stellen, um behinderten Menschen die existenziell notwendige Versorgung zu geben. Ganz zu schweigen von den tief beeindruckenden Leistungen der jetzt im Mittelpunkt stehenden Personen. Diese Krise greift tiefgreifend in unsere Lebensrealität ein.
Die gegenwärtige Bewältigung einer schwierigen und noch nie dagewesenen Situation bedeutet aber auch, dass wir im beruflichen Kontext empathisch mit uns selbst und anderen umgehen (sollten). Insbesondere auch dann, wenn der Umgang mit den eigenen ängstlichen Anteilen uns zu erhöhter Achtsamkeit und Fürsorge verpflichtet. Dafür tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, auch dann, wenn sie selbst denselben sozialen und emotionalen Mechanismen ausgesetzt sind, wie jede(r) Mitarbeiter*in auch.
Helfen kann uns sicher Zuversicht und auch Humor. Wie schon im anfangs erwähnten Zitat von Michael Reinhard kreieren diese Eigenschaften Haltungen, die uns durch Krisen bringen und uns eine klare Analyse ermöglichen und den Lebensmut erhalten. Ich höre immer wieder Sätze wie: „Soviel gelacht habe ich selten…“, dabei mag einem das Lachen zuweilen vor dem Hintergrund dieser existenziellen Krise im Halse stecken bleiben. Und doch erhalten wir momentan über die unterschiedlichen sozialen Netzwerke eine Vielzahl von Karikaturen, Parodien, humorvolle Überzeichnungen. Alle haben das Ziel, uns für einen Moment aus der schwierigen Situation heraus zu befreien, uns ein Lächeln in das Gesicht zu zaubern. Wie sagt der Dalai Lama: „Wenn Menschen lachen, sind sie fähig zu denken.“
Ein Beispiel:
It was a quiet Monday morning in September 2053, when John awoke with a need to go to the bathroom. To John this wasn’t just any ordinary day! This was the day he would open the last package of toilet paper his parent bought in the year 2020. (Autor unbekannt)
Auch in diesem Beitrag des unbekannten Autors werden die Hamsterkäufe im Jahr 2020 karikiert und gleichzeitig wird bereits ironisch auf die Geschichte 33 Jahre später hingewiesen. „Das Lachen ist ein Heilmittel“, schreibt auch der Autor Nosrat Peseschkian[2] und er führt aus: „Humor ist die Fähigkeit, heiter zu bleiben, wenn es ernst wird. Einen Weg der Phantasie und Intuition in der Selbsterfahrung und Lösung von Konflikten mehr Raum zu geben, sehe ich in Geschichten, Mythologien, Parabeln, Konzepten und im Humor.“ Lachen hilft uns, die Wirklichkeit zu bewältigen, auch dann, wenn diese Wirklichkeit zuweilen unerträglich erscheint.
Um mit einem norddeutschen Sprichwort zu enden: „Nütz ja nix!“ In diesem Spruch drückt sich vielleicht eine gute Haltung aus und auch eine gute Art zu leben. Manche Dinge einfach mal hinzunehmen, anzunehmen und das Beste daraus zu machen. Und jetzt ist gerade auch mal eine Zeit, wo wir dieses lernen können. Ja, wir wollen alle, dass das ganz normale Leben bald wieder anfängt. Aber, das dauert noch ein bisschen. Nütz ja nix!!
[1] Michael Reinhard in Main-Post, online vom 29.3.2020
[2] Nosrat Peseschkian, Es ist leicht, das Leben schwer zu nehmen. Aber schwer, es leicht zu nehmen, Herder Verlag